Zum zweiten Mal seit Inkrafttreten der UNESCO-Welterbekonvention ist Deutschland Gastgeber einer Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees, die vom 28.6. bis zum 8.7. in Bonn stattfindet. Mein aktuelles Interview mit der RHEINPFALZ finden Sie hier.
Die Rheinpfalz vom 03.07.15: „Eine Sternstunde für das Welterbe“
Interview: Maria Böhmer (CDU), Staatsministerin im Auswärtigen Amt aus Frankenthal, ist seit 2014 Präsidentin des Unesco-Weltkulturerbekomitees. Derzeit leitet die 65-Jährige die jährliche Sitzung in Bonn. 2000 Delegierte aus 21 Staaten entscheiden über Neuaufnahmen in die Liste der Weltkulturgüter. Sie haben auch eine Resolution gegen den IS-Terror in Syrien und Irak verabschiedet.
Sie haben die Führung des Welterbekomitees in schwieriger Zeit übernommen. In Bonn wird über das Schützen neuer Stätten beraten, während Terroristen die Wiege der Menschheit in Mesopotamien zerschlagen. Welchen Sinn hat die Welterbeliste, wenn die Unesco angesichts solcher Barbarei machtlos ist?
Wir sind nicht machtlos. Wir haben am Montag die Bonner Erklärung zum Schutz von Welterbestätten verabschiedet. Darin wenden wir uns mit aller Kraft gegen terroristische Akte. Wir bekräftigen die Resolution, die Deutschland und der Irak gemeinsam bei den Vereinten Nationen im Mai zur Abstimmung gestellt haben. Diese Resolution wurde mit der größtmöglichen Zustimmung der Staatengemeinschaft angenommen. Ein entscheidender Punkt ist: Solche terroristischen Akte sind Kriegsverbrechen. Und als solche werden sie geächtet und auch verfolgt. Das heißt, alle Staaten dieser Welt sind aufgefordert zur Strafverfolgung solcher Taten.
Aber wie will man die Kulturgüter schützen?
Wir haben auch gesagt in unserer Resolution, wir dürfen die Staaten nicht alleine lassen. Wir wollen der präventiven Arbeit mehr Gewicht geben, wenn es, wie jetzt in Syrien, um eine Inventarisierung der Kulturgüter mit der Hilfe Deutschlands geht, um ihre Evakuierung, um sie dem Zugriff der Terroristen zu entziehen, oder um Hilfe zur Wiederherstellung zerstörter Welterbestätten. Ein weiterer Punkt ist, dass Funde aus Raubgrabungen illegal auf dem Kunstmarkt gehandelt werden und mit den Erlösen der Terrorismus finanziert wird. In New York wie in Bonn haben wir gesagt, der illegale Antikenhandel muss unterbunden werden.
Wie wollen Sie das erreichen?
Jeder Staat ist gehalten, das rechtlich umzusetzen. Wir beraten in Deutschland über eine Verbesserung des Kulturgüter-Schutzgesetzes. Kern ist, dass Kulturgüter nur eingeführt werden dürfen, wenn eine Ausfuhrgenehmigung des Landes vorliegt, aus dem sie stammen, oder dass beim Handel die Herkunft nachgewiesen werden muss.
Sie sprechen von Kriegsverbrechen. Ermutigen Sie damit die IS-Terroristen nicht noch in ihrem Tun – in deren schrägem Weltbild ist unsere Empörung doch eine Genugtuung?
Also, wenn wir davor zurückweichen, die Dinge als das zu benennen, was sie sind, dann nutzen wir nicht die stärkste Kraft, die wir haben: nämlich unsere Werte, unser Rechtssystem. Was so wichtig war bei den Vereinten Nationen als auch hier in Bonn: Alle islamisch orientierten Staaten haben mitgestimmt. Und damit wird erkennbar, dass es sich nicht um religiös motivierte Taten handelt, sondern dass das wirklich barbarische Akte sind. Terroristen wollen die Identität, die Geschichte von Menschen zerstören. Denken Sie an das Zweistromland, wo seit Jahrhunderten Menschen verschiedener Religionen ganz selbstverständlich miteinander gelebt haben. Der Islamische Staat will das alles auslöschen. Und dafür ist es so wichtig, das wir unsere gemeinsame Stimme erheben, um Grenzen zu stecken.
Bei 2000 Delegierten aus 21 Ländern, gab es da Einigkeit?
Absolut. Die Resolution haben wir am Montag verabschiedet. An den folgenden Tagen haben wir die Zustandsberichte über das Welterbe entgegengenommen – als erstes den der Stätten, die auf der roten Liste stehen, weil sie gefährdet sind. Wir begannen mit der Altstadt von Damaskus, dann ging es weiter mit der Altstadt von Basra, Palmyra, Aleppo, nach Syrien hatten wir Jemen, Afghanistan, Mali. Wenn man die Berichte hört, die Bilder sieht, dann geht das unter die Haut. Ich habe gemerkt, wie sie das ganze Welterbekomitee aufwühlen. Das Entsetzen und die Fassungslosigkeit über die Taten waren greifbar.
Waren Sie selbst schon einmal in Aleppo, Hatra oder Palmyra?
Dort war ich noch nicht. Aber wir haben ja die Museumsinsel in Berlin. Und da gibt es beispielsweise das Aleppo-Zimmer. Und wir wissen, wenn dieses nicht in Berlin stünde, gäbe es das heute nicht mehr. Unsere Experten von der Stiftung preußischer Kulturbesitz helfen auch vor Ort. Ich war in jüngster Zeit in Welterbestätten in der Türkei, war auch in Flüchtlingslagern nahe Syrien. Aber nach dem, was ich auf Bildern gesehen habe, muss ich Ihnen sagen, es ist unfassbar, was dort geschieht. Andererseits war es auch bewegend bei der Ausstellung „Heroes“ hier in Bonn Menschen zu treffen, die sich um die Rettung von Welterbestätten kümmern. Wir haben Maurer geehrt, die in Mali, in Timbuktu, die von Dschihadisten zerstörten Mausoleen wieder aufgebaut haben. Die Ministerin für Kultur war da und berichtete mir, dass sich dort ein Imam geweigert hat, die Moschee zu verlassen, damit sie nicht zerstört wird. Da sieht man auch den Mut der Einzelnen.
Unter den Kandidaten für die Welterbeliste sind aus Deutschland die Hamburger Speicherstadt und der Naumburger Dom mit Umgebung. Gibt es eine Kulturstätte in Ihrer Heimat, die Sie gerne in die Welterbeliste aufgenommen sähen?
Die Schum-Städte Speyer, Worms und Mainz, das jüdische Erbe am Rhein. Das fände ich großartig, wenn es bei einer der nächsten Sitzungen aufgenommen würde. Weil es gerade für unsere Region so große Bedeutung hat, wo wir unsere Wurzeln haben.
Wie lange sind Sie noch Vorsitzende des Welterbekomitees?
Ich bin vor einem Jahr in Doha zur Präsidentin gewählt worden. Das Amt dauert immer ein Jahr und endet mit der Welterbekonferenz, die wir gerade in Bonn durchführen. Es ist eine Mammutkonferenz über zehn Tage.
Dann will ich Ihnen Ihre Zeit nicht weiter stehlen …
Sie stehlen nicht. Und ich gebe Ihnen jetzt noch eine Botschaft mit auf den Weg: Es stand in Bonn der Zustandsbericht zum Great Barrier Reef in Australien an. Da gab es im vergangenen Jahr die Entscheidung, es auf die rote Liste zu setzen, wenn es keine Verbesserungen gibt. Es gibt die sehr berechtigte Sorge, dass die Schädigungen durch Umwelteinflüsse sehr groß sein könnten. Es gab jetzt eine außergewöhnliche Entscheidung, die mich sehr gefreut hat, weil das Riff ja globale Bedeutung hat. Australien hat umgesteuert und wird mit einem erheblichen rechtlichen und finanziellen Aufwand alles daran setzen, dessen Zustand zu verbessern. Der Bundesstaat Queensland hat jetzt sogar einen Minister ausschließlich für das Great Barrier Reef berufen. Das war eine Sternstunde für das Welterbekomitee, weil sich die Kraft der Konvention gezeigt hat. Wir können etwas bewegen.