ES GILT DAS GESPROCHENE WORT!
Grußwort der Staatsministerin im Auswärtigen Amt Prof. Dr. Maria Böhmer
Freyburg, 12 Januar 2017
Sehr geehrte Frau Ministerin Dalbert, (Umweltministerin Sachsen-Anhalt)
sehr geehrter Herr Landrat Ulrich,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Mänicke,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete des Land- und Bundestages
sehr geehrter Herr Queisser (Geschäftsführer Rotkäppchen-Mumm, Hausherr)
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Der Jahreswechsel bedeutet immer eine Zeit, um innezuhalten. Um zurückzublicken, um dankbar zu sein für das Gute, das wir erleben durften, und um uns bewußt zu machen, worauf es uns wirklich ankommt im Leben.
Innenpolitisch ist das vergangene Jahr ist für uns mit einem furchtbaren Ereignis zu Ende gegangen. Als ich die Nachricht vom Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz erhalten habe, war ich entsetzt und zutiefst erschüttert. Mein tief empfundenes Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Opfer und den Verletzten.
Der grausame Anschlag hat 12 Menschen in den Tod gerissen. Weitere 48 wurden schwer verletzt; Überlebende, Angehörige und Freunde sind traumatisiert. Uns wurde in schrecklicher Weise vor Augen geführt, wie verwundbar wir sind.
Aber es ist mir wichtig, was bereits Bundespräsident Gauck äußerte:
„Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen. Er wird unser Miteinander nicht spalten.“
Darauf kommt es an!
Außenpolitisch betrachtet ist im Rückblick auf das vergangene Jahr Krise der Normalzustand. Der Krisenmodus scheint der aktuelle Aggregatzustand der Welt zu sein.
Allerdings ist mit dem Schlagwort Krise allein ist noch nicht viel erklärt. Denn wenn wir einen etwas genaueren Blick auf den Krisenzustand dieser Welt werfen, dann sehen wir doch, dass es sich um mehrschichtige, aber auch grundverschiedene Krisen handelt, über die wir sprechen. Oft sind es Umbrüche, oft sind es Entscheidungen, die Verunsicherung auslösen: Die Brexit-Abstimmung, die Gewalt in der Ostukraine, der Krieg in Syrien, die ungelösten Konflikte in Jemen und Libyen, die Instabilität in der Türkei.
Und natürlich bedeutet auch die Amtsübernahme von Donald Trump als neuem US-Präsidenten in der vergangenen Woche für unsere Zukunft Veränderungen, von denen wir im Augenblick noch nicht wissen, welche Richtung sie nehmen, welche Tragweite sie haben werden.
Und weil das so ist, löst es in Deutschland, in Europa Unsicherheiten aus.
Zusammengenommen könnte man sagen: Es ist ein sehr ernüchterndes Bild, das sich ergibt bei einem Blick auf die Welt. Gerade in so politisch turbulenten Zeiten wie diesen bedarf es einer verantwortlichen Außenpolitik. Das heißt, dass wir beharrlich und mit Augenmaß und mit Analyse an einer diplomatischen Lösung arbeiten und uns nicht entmutigen lassen, selbst wenn sie im ersten und im zweiten Schritt nicht eintreten will.
Meine Damen und Herren,
1. dass wir in Frieden und Wohlstand leben können, dass uns über 70 Jahre kein Krieg auf zentraleuropäischem Boden erschüttert hat, ist der europäischen Idee zu verdanken. Es ist wichtig, immer wieder daran zu erinnern.
Wir erleben derzeit, dass einige politische Konstanten unseres Kontinents zu wanken scheinen. Viele fragen, was die EU zusammenhält. Die EU ist mehr als ein Wirtschafts- und Wohlstandsprojekt, sie ist vor allen Dingen ein europäisches Friedensprojekt.
Die kulturelle Dimension spielt dabei eine zentrale Rolle. Diese kulturelle Dimension möchte ich nun etwas näher in den Blick nehmen.
Meine Damen und Herren,
2. Für Deutschland, namentlich aber für Sachsen-Anhalt ist 2017 ein besonderes Jahr.
Am 31. Oktober jährt sich zum 500. Mal der Anschlag der Thesen von Martin Luther an der Wittenberger Schlosskirche. Von Wittenberg ging die Reformation in die Welt. Über 400 Millionen Protestanten weltweit verbinden ihre geistig-religiöse Existenz mit dem reformatorischen Geschehen.
3. Sachsen-Anhalt kann sich in diesem Jahr der weltweiten Aufmerksamkeit als Wiege der Reformation sicher sein.
Die authentischen Stätten und die bedeutenden Sammlungen im Geburtsland der Reformation stehen einmal mehr im Fokus der Weltöffentlichkeit. Dazu gehören Kirche und Kloster St. Annen und die St. Andreaskirche in Eisleben, Luthers Elternhaus und die Georgskirche in Mansfeld sowie das frisch restaurierte Schloss, das Bugenhagenhaus und die Cranachhäuser in Wittenberg.
Vieles ist für das Jubiläumsjahr 2017 auf den Weg gebracht worden. Ich hoffe sehr, dass auch die Erweiterung der in die Welterbeliste der UNESCO eingetragenen Luthergedenkstätten gelingt.
Meine Damen und Herren,
4. Es gibt Sachsen-Anhalt sehr viele schöne Orte, aber es ist sicherlich keiner so prädestiniert wie die Rotkäppchen-Mumm-Sektkellereien, um auf das neue, noch junge Jahr 2017 anzustoßen.
Weinbauregionen sind etwas Besonderes. Es sind immer auch Landschaften, in denen Kunst und Kultur gepflegt und tradiert werden. Sie haben eine hohe Anziehungskraft, und ich gestehe, dass ich nicht nur die geistigen und kulturellen Kostbarkeiten an Saale und Unstrut zu schätzen weiß.
5. Sachsen-Anhalt ist ein Land voller solcher Kostbarkeiten. Neben den Luthergedenkstätten gehören auch das die Altstadt von Quedlinburg, das Gartenreich in Dessau-Wörlitz und das Bauhaus zum Welterbe der UNESCO. Gemessen an Größe und Einwohnerzahl weist kein anderes Land in Deutschland eine so hohe „Welterbe-Dichte“ wie Sachsen-Anhalt auf.
Im April des vergangenen Jahres hat mich Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Sonderbeauftragten für UNESCO-Welterbe und die UNESCO-Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsprogramme ernannt.
Es erfüllt mich als UNESCO-Beauftragte des Auswärtigen Amts mit Freude, wenn ich sehe, wie sehr Sie die kulturellen Schätze in Sachsen-Anhalt hüten und pflegen und zur Schärfung des Profils Ihres Landes nutzen.
6. Ich weiß, dass sie hier im Süden von Sachsen-Anhalt nicht nur wegen des Erweiterungsantrages zu den Luthergedenkstätten erwartungsvoll auf die nächste Sitzung des Welterbekomitees Anfang Juli im polnischen Krakau schauen.
Behandelt wird dort auch erneut der Antrag auf Einschreibung des Naumburger Domes und weiterer Stätten in die Welterbeliste, darunter auch die Neuenburg hier in Freyburg.
Bereits im März 2015 bei meinem Besuch im Naumburger Dom auf Einladung von Ministerpräsident Haseloff war ich tief beeindruckt. Im Rahmen der von mir geleiteten Sitzung des Welterbekomitees in Bonn im Sommer 2015 hatte ich Gelegenheit, mich weiter intensiv mit dem Antrag und dem Naumburger Dom zu befassen.
Die lebensnahen Stifterfiguren des Naumburger Meisters, die künstlerische Vielfalt, aber auch die Landschaft, in die der Dom eingebettet ist, sind sicher ein Erbe von Weltrang.
Es handelt sich um eine Landschaft voller Kulturdenkmäler, deren Besonderheit und Bedeutung manche nicht auf Anhieb erkennen. Manchmal ist ein zweiter Blick, ein zweiter Anlauf notwendig, um im universellen Vergleich das Einzigartige herauszustellen und erkennen zu können.
Ich hoffe sehr, dass wir im Sommer wieder einen Grund zum Feiern haben und ich versichere Ihnen, dass ich mich weiterhin für beide Anträge mit aller Überzeugungskraft einsetzen will.
7. 1052 Stätten in 165 Ländern sind inzwischen in die Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt eingetragen. Deutschland ist mit 41 Stätten sehr gut auf der Welterbeliste vertreten. Dass wir so erfolgreich sind, liegt nicht nur an unserem kulturellen Reichtum, sondern basiert auch darauf, dass wir in Sicherheit und Wohlstand leben, dass wir den Denkmal- und Naturschutz einschließlich der dafür erforderlichen Fachbehörden und Schutzmaßnahmen pflegen können.
8. Weltweit ist fast täglich das Welterbeprogramm der UNESCO und die Welterbestätten in den Schlagzeilen. Oft sind es keine guten Nachrichten.
Die Zerstörungen von Kulturgut durch Terror und Krieg, durch Raubgrabungen und illegalen Handel insbesondere im Nahen Osten bedrohen das kulturelle Erbe der Menschheit.
Die Zerstörung unserer Vergangenheit gefährdet auch unsere Gegenwart und Zukunft. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, unser kulturelles Erbe zu schützen.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte in mehreren Resolutionen die bewusste Zerstörung von Kulturgut. Dazu habe ich selbst vor den Vereinten Nationen in New York gesprochen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat einen weiteren wegweisenden Beitrag geleistet: Die Zerstörung von Kulturerbe in Mali wurde als Kriegsverbrechen verurteilt. Der Schutz, Erhalt und Wiederaufbau des kulturellen Erbes drängende Frage unserer Zeit.
Anfang Dezember habe ich für die Bundeskanzlerin an einer Konferenz in Abu Dhabi teilgenommen, deren Thema der Schutz des kulturellen Erbes in Krisenregionen war.
Die internationale Gemeinschaft hat mit der Konferenz ein starkes Zeichen für den Schutz des Kulturerbes gesetzt. Ein internationaler Fonds zum Kulturgüterschutz wurde ins Leben gerufen und ein Netzwerk mit sog. „Safe Havens“ für bedrohtes Kulturgut initiiert. Wenn es jetzt an die Umsetzung geht, werden wir uns als Deutschland mit unserer Expertise und konkreten Projekten einbringen.
Ich möchte in dem Zusammenhang noch ein anderes Beispiel hervorheben.
9. Anfang Juni 2016 war ich Gastgeberin einer UNESCO-Expertenkonferenz zum Erhalt und Schutz des Kulturerbes in Syrien im Auswärtigen Amt in Berlin. Die Konferenz haben wir gemeinsam mit dem Welterbezentrum der UNESCO und mit Unterstützung der DUK, des DAI und der Gerda-Henkel-Stiftung ausgerichtet.
Zu sehen, wie junge Syrer trotz traumatischer Erfahrung von Krieg und Terror den Willen haben, die Zukunft ihres Landes zu planen - das hat mich beeindruckt. Die gemeinsame Verantwortung und der gemeinsame Schutz von Kulturerbe verbinden über politische Gegensätze hinweg.
Als ein syrischer Teilnehmer einen Landsmann fragte, zu welcher der zahlreichen politischen Gruppen er gehöre, war die Antwort: Ich gehöre zu Syrien. Dieser Geist von Gemeinsamkeit hat mich bewegt. Wir brauchen ihn, damit die Menschen, die Zuflucht vor Krieg und Vertreibung bei uns suchen, den Mut zum Wiederaufbau ihrer Heimat und zum Neuanfang finden.
Meine Damen und Herren,
10. Sachsen-Anhalt ist ein Beispiel dafür, wie wichtig die Kultur für Zusammenhalt und Identität ist, wie damit das regionale Profil gestärkt und für Wirtschaft und Tourismus nicht nur als weicher, sondern als wegweisender Faktor genutzt werden kann. Das hat Vorbildwirkung, weit über Ihr Bundesland hinaus.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch allen besonders danken, die sich für Welt- und Kulturerbe in Sachsen-Anhalt und der Region eingesetzt haben. Sie erfüllen eine sehr wichtige Aufgabe. Sie können stolz sein auf Ihr wunderbares Land Sachsen-Anhalt.
Ich wünsche Ihnen ein Frohes und gesegnetes Neues Jahr, und weiterhin viel Erfolg.